Neues Adoptionshilfe-Gesetz stellt freie Träger vor große Herausforderungen
Münster/Ibbenbüren (cpm). Ohne Roswitha Göcke vom Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Ibbenbüren wüsste Josef Müller* nicht, woher er stammt. Bereits als Kind erfuhr der heute 60-Jährige von seinen Eltern, dass er adoptiert wurde. Die Frage nach seiner Herkunft hatte Müller nie getrieben, „da ich eine große Fürsorge, Liebe und Geborgenheit in meinem Elternhaus gespürt habe“. Begonnen habe die Suche nach den Wurzeln erst nach dem Tod der Adoptiveltern. Doch weder die Kanzlei, die den Adoptionsvertrag aufgesetzt hatte, noch das Amtsgericht in Ibbenbüren konnten Licht ins Dunkel der Vergangenheit bringen. Und auch bei der Adoptionsvermittlungsstelle, dem katholischen Fürsorgeverein in Hamburg, fand der erfolgreiche Geschäftsmann nichts.
„Nichts, gibt es nicht.“ An diesen Satz von Sozialpädagogin Göcke kann sich Müller noch genau erinnern. Der Anruf beim Adoptionsdienst des SkF sei „wie ein Sechser im Lotto“ gewesen. Endlich habe ihm jemand zugehört, ihn verstanden und etwas getan. Eine aufwendige und aufregende Reise in die Vergangenheit begann. Ein verstaubter Schuhkarton aus dem Keller der Adoptionsvermittlungsstelle in Hamburg gab Teile der Vergangenheit preis. Mit weit über 50 Jahren erfuhr Müller, dass er zwei Halbschwestern hat. Eine in Norddeutschland und eine in Süddeutschland. Sein erster Gedanke: „Ich bin nicht allein.“
Ein starkes Team beim SkF in Ibbenbüren:
Roswitha Göcke, Bettina Korsmeier-Matzke
und Irina Isenbart (von links).
Foto: Carolin Kronenburg/Caritas im Bistum Münster
Nach einer behutsam und professionell begleiteten Familienzusammenführung sind die Geschwister gemeinsam zum Grab ihrer Mutter in Hamburg gefahren. „Wir haben uns an den Händen gehalten und ein Gebet gesprochen“, erinnert sich Müller. Während des Gebetes hat es leicht geregnet, „ein wenig als habe unsere Mutter im Himmel vor Freude geweint“. „Als ich das Foto der drei Geschwister am Grab ihrer Mutter gesehen habe, hatte ich Gänsehaut“, sagt Göcke.
„Das, was hier geleistet wird, das leistet niemand sonst“, betont Müller. Ohne den Adoptionsdienst des SkF wäre ihm, seinen Schwestern und seinen Kindern das alles verborgen geblieben. „Ich habe meinen Stammbaum bis 1702 geschrieben und kann meinen Kindern sagen, wo wir herkommen“, sagt Müller dankbar. „Für uns steht der Mensch an erster Stelle“, beschreibt Göcke, die nach 42 Berufsjahren seit September im Ruhestand ist, die Motivation des gesamten Teams.
Damit Menschen wie Josef Müller einfacher an Informationen über ihre Herkunft kommen, ist im April 2021 ein neues bundesweites Adoptionshilfe-Gesetz in Kraft getreten. Es stärkt die Rechte Adoptierter und die Qualität der Beratungen rund um Adoptionen soll gesichert werden. „Wir begrüßen die Inhalte des neuen Gesetzes“, betont Gesa Leestmann, Referentin für Adoptions- und Pflegekinderdienste der Caritas im Bistum Münster. In Nordrhein-Westfalen gibt es 14 katholische Adoptionsberatungsstellen, die über Eigenmittel finanziert werden. „Ihre Finanzierung zu sichern, hat die Neuauflage des Gesetzes verpasst“, kritisiert Leestmann. Die Aufgaben der Adoptionsdienste stiegen hingegen. Mehraufwand bei Ressourcenknappheit gefährdet laut Leestmann ihre Existenz.
Dabei seien freie, staatsunabhängige Träger gerade bei sehr persönlichen Themen wie einer Adoption ein wichtiges Angebot für Menschen in Not, berichtet Göcke. Ohne eine gesicherte Finanzierung für die Dienste freier Träger, könnte die gesetzlich vorgeschriebene Trägervielfalt in Gefahr geraten und das Wunsch- und Wahlrecht der Bürger eingeschränkt werden. Und Göcke betont: „Wenn wir freien Träger rausfallen, dann fehlt auch ein Stück Menschlichkeit in der Gesellschaft.“
On Air: Roswitha Göcke vom SkF in Ibbenbüren
und Gesa Leestmann, Referentin für Adoptions-
und Pflegekinderdienste der Caritas im Bistum
Münster, bei der Aufzeichnung des Podcasts
CariTalks. (von links).
Foto: Juliane Büker/Caritas im Bistum Münster
Unter dem Motto "Fordern ja - fördern nein?" beantworten Roswitha Göcke und Gesa Leestmann im Podcast CARItalks Fragen rund um Adoptionsdienste und das neue Adoptionshilfe-Gesetz. Den Podcast finden Sie auch auf Spotify.
Der Diözesancaritasverband Münster vertritt und berät mit seinen rund 160 Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle in Münster über 50 örtliche Verbände und rund 400 katholische Einrichtungen, in denen 80.000 Hauptamtliche und 30.000 Ehrenamtliche tätig sind. Er zählt damit zu den größten Diözesanverbänden in Deutschland.
*Name von der Redaktion geändert
076-2022 (ck/bü) 7. September 2022